Unterschlupf am Kreisverkehr
Johanna Adam
Ein Ort, der sich vollständig einem Material gewidmet hat: Das Keramion in Frechen beherbergt eine Sammlung von Keramik-Arbeiten, die weit in die Geschichte zurückreicht und gleichzeitig die künstlerische Aktualität in den Fokus rückt. Als erste Stipendiatin einer beginnenden Reihe des Keramions, die der Förderung zeitgenössischer Kunst gewidmet ist, hat die Künstlerin Zandra Harms nun für einige Wochen „Unterschlupf am Kreisverkehr“ gefunden.
Die Arbeit mit Keramik ist von bestimmten Abläufen und Prozessen bestimmt, die einer künstlerischen Praxis viel Kenntnis abverlangen, vor allem aber Experimentiergeist, Geduld und eine große Offenheit, sich den wenig berechenbaren Faktoren des Schaffensprozesses auszusetzen. In der künstlerisch-forschenden Art, in der sich Zandra Harms bereits seit vielen Jahren mit dem Material Porzellan und seinen Möglichkeiten beschäftigt, hat sie so unterschiedliche wie eigenständige Wege gefunden, die Keramik in Formen zu bringen, die erstaunlich, mitunter unmöglich wirken. Porzellane, die wie Drähte dünn und gebogen erscheinen, Figuren, die wie aus Lehm geformt wirken, oder gegossene Porzellanplatten als Bildfläche für Malereien – in diesem Spannungsfeld spiegelt sich die Vielfalt der Ausdrucksformen, die Zandra Harms in ihrer Abschlussausstellung des Stipendienaufenthalts präsentieren kann.
Gesichter und Köpfe
Schemenhaft wirken die Gesichter, Köpfe und Büsten, die als umfangreiche Serie seit 2020 entstehen. Und doch gleicht kein Kopf dem anderen, und es blitzen immer wieder individuelle Züge hervor, die es verhindern, die Formen als unspezifisch wahrzunehmen. Weiß man um die Technik, wird deutlich, in welcher Weise hier künstlerische Präzision und zeichnerische Kapazität auf Unberechenbarkeit treffen. Der Fertigungsprozess erfordert ein Vorbrennen der Platten, die als Bildgrund dienen und auf die die Metallsalze, mit denen die farbige Zeichnung stattfindet, aufgetragen werden. Es bleiben der Künstlerin nur wenige Sekunden, in denen ihr zeichnerischer Strich sichtbar bleibt, bevor das flüssige Salzpigment in der Fläche der Porzellanmasse verschwindet. Erst nach dem finalen Brennen, dem Hochbrand, wird die Zeichnung wieder sichtbar. Der Prozess verlangt der Künstlerin ungemeine Präzision und Kenntnis der Materialeigenschaften ab, außerdem hohe Konzentration und Erfahrung, um der erforderlichen Schnelligkeit gerecht zu werden. Und dennoch hat der Vorgang etwas Magisches, Wundersames, fast Geisterhaftes: Die Köpfe entstehen von rascher Hand, verschwinden umgehend wieder und manifestieren sich erst dann beständig, wenn der Prozess vollständig abgeschlossen ist. Es ist eine bewusste Entscheidung, sich auf diesen Prozess einzulassen, der sich konzeptuell doch sehr von einer künstlerischen Praxis unterscheidet, die auf vollständige Kontrolle setzt. Die Werke entwickeln ein eigenes Leben, ein eigenes Wollen, in dem Moment, in dem der schöpferische Prozess einsetzt. Die Künstlerin macht diesen Anteil zum Konzept der Serie, und es ist vor diesem Hintergrund ein wichtiger Aspekt, dass es sich eben um eine Serie handelt, denn die Serialität spiegelt erst den Vielfalt der Möglichkeiten wieder, die sich durch den Spannungsbogen von Absicht und Unvorhersehbarkeit aufbietet.
Hier greift die Erfahrung, auf der die langjährige Arbeit mit der Keramik beruht. Die Diskrepanz zwischen der Vorform und dem Ergebnis in gebrannter Keramik muss durch das künstlerische Vorstellungsvermögen antizipiert werden. Es sind immer wieder Zwischenschritte, die der Prozess mit sich bringt, und die den schöpferischen Vorgang zeitlich verlangsamen. Diese Schritte bedeuten die entscheidenden Möglichkeiten, während des Prozesses zu steuern, neu oder anders zu entscheiden, Veränderungen zu provozieren. Es ist eine Rhythmik, die das Material vorgibt, und in die die Künstlerin einsteigt und darin melodisch agiert – mal einer Komposition folgend, die sie variiert, mal stärker improvisierend und experimentell. Die dabei entstehenden Werke sind oft Varianten innerhalb einer Serie, die einen Gedanken auf unterschiedliche Weise künstlerisch ausformuliert. Diese Formulierungen weisen Verwandtschaften auf, und doch bleibt jedes einzelne Werk die spezifische, individuelle Antwort.
Ketten
An die Grenzen des Materials geht Zandra Harms mit ihrer Serie der Ketten, die die Eigenschaften des Porzellans und seine mögliche Form bis aufs Äußerste ausloten. Hart und formstabil, aber dennoch fragil und unter Druck zerbrechlich scheint das Material für die ineinandergreifenden Glieder einer Kette ungeeignet. Die Kette – nicht das Schmuckstück, sondern der Gebrauchsgegenstand – wird in der Nutzung verschiedenen Belastungen ausgesetzt, für die sich die Keramik als unbrauchbar erweist. Dieser Kontrast macht die Spannung aus, die bei der Betrachtung unmittelbar spürbar ist. Es ist eine Unstimmigkeit, ein Widerspruch, den es im Moment der Wahrnehmung auszuhalten gilt. Die Farbe, die an einen hellen Hautton erinnert, verunklärt den Gegenstand zusätzlich: Ist das Material weich und warm, wie die Farbe suggeriert? Oder kalt und metallisch, wie die Form nahelegt. Was sind seine maßgeblichen Eigenschaften, und welche Wirkung überwiegt letztlich? Gelingt es uns, das zu sehen, was das Objekt tatsächlich ausmacht oder hallen die assoziierten Attribute zu stark nach?
Zelte
Der „Unterschlupf am Kreisverkehr“ – das Keramion in Frechen – war nun für einige Wochen der Arbeitsort der Künstlerin Zandra Harms. Das temporäre Dach über dem Kopf, das Zelt in seiner Form, Anmutung und Assoziationskraft, interessiert die Künstlerin bereits seit langem. Die klassische Zeltform, die einem aufgestellten Dreieck gleicht, gilt als die einfachste und zugleich stabilste geometrische Figur. Auch wenn wir eine Vielzahl verschiedenster Dächer kennen, so bleibt doch die Form des Zeltdachs die charakteristischste von allen. Es ist nicht nur die Form, die Zandra Harms hier interessiert, sondern insbesondere der Topos des Zeltes als bedingter Schutzraum. Das Zelt suggeriert ein Haus zu sein und bietet ähnlichen Raum, ähnlichen Schutz und sogar eine ähnliche Form: Und dennoch bleibt es fragil, bietet nur begrenzte Sicherheit, keine festen Wände, keine Dauerhaftigkeit. Die Materialität der dünnen Stoffhaut lässt einen besonderen Raum entstehen, ein Zwischenstadium zwischen Innen und Außen. Die transluzenten Zeltwände bieten Sichtschutz, und dennoch fällt das Licht hindurch und Schatten zeichnen sich ab. Geräusche dringen hindurch, aber erscheinen gedämpft. Diese Eigenschaften des Raumes evoziert die Künstlerin in ihrer Serie von Zelten aus Pastellkreiden. Die kräftigen Farben auf schwarzem Grund stechen hell leuchtend hervor, sind aber nie deckend und erzeugen jenen Effekt der Transluzenz, den wir im Zeltraum verspüren. Die Welt erscheint durch die Zeltwand wie ein Schattenspiel, das lediglich eine Ahnung der von der Realität vermittelt.
Schwarzer Raum
Das Thema des geschützten Raumes begegnet dem Publikum in der Ausstellung darüber hinaus in einer konkret erlebbaren Situation. Im Untergeschoss hat Zandra Harms eine räumliche Struktur geschaffen, in der sich eine spezifische Auswahl von Arbeiten aus verschiedenen Serien und Werkaspekten begegnen. Es handelt sich dabei um einen kleinen, etwa 2,50 x 2,50 m großen Kabinettraum, der wie eine Wunderkammer erscheint: Dunkel und ruhig, abgelöst von der lichtdurchfluteten Ausstellungsfläche, findet der Besucher hier einen Ort der Kontemplation. Die Künstlerin hat die Werke vor schwarze Wände gesetzt, sodass die Objekte förmlich herausleuchten aus dem dunklen, beruhigten Untergrund. Der filigrane Brustkorb aus feinen Porzellanstreifen, einer der leuchtend blauen Köpfe aus Metallsalzen auf Porzellangrund, aber auch ein Schaumstoff-Stück – ein gefundenes Restmaterial, das nun wie ein Schmuckstück erscheint, bilden einen Vielklang aus Formen und Assoziationen. Auch ein Fragment der für das Keramion so wichtigen Bartmann-Krüge, sowie eine Kopf, den die Künstlerin in Anlehnung an diese historischen Keramiken geschaffen hat, treffen hier aufeinander. Jedes Werk für sich bringt eine Erzählung in den Raum, die sich im Zusammenspiel mit den anderen Objekten zu einem neuen Geflecht verwebt. Hier werden die unterschiedlichsten Kontexte, die unterschiedlichsten Ausgangspunkte aus dem Kosmos des künstlerischen Schaffen von Zandra Harms in einem Nukleus zusammengeführt und zeichnen die gedanklichen Wege und Verbindungen nach, die in ihrem künstlerischen Denken Niederschlag gefunden haben.
Manege frei!
Welche Vielfalt, welcher Übermut, was für eine springlebendige Menagerie, entstanden aus überbordender Fantasie und Fabulierlust! Dabei gibt die Beschränkung auf das kleine Format, 21 x 15 cm, immer als Hochformat zu denken, einen recht engen Rahmen vor, könnte man meinen. Aber was hier entstanden ist und immer noch entsteht, sprengt so viele Grenzen. Denn es geht ja um nichts Geringeres als eine doppelte Urheberschaft. Und das ist ein hochkomplizierter Vorgang.
Das von anderer Hand Eingebrachte ist eben gerade nicht unsichtbar, wie bei dem berühmten „Cadavre Exquis“, der angeblich von den Surrealisten erfundenen Praxis, zu mehreren nacheinander auf ein und demselben Blatt zu zeichnen, dessen bereits bezeichneten Abschnitte jeweils eingefaltet und dadurch verborgen werden. Bei der Kooperation zwischen Zandra Harms und Gunilla Jähnichen liegt der Beitrag der Künstlerfreundin offen zu Tage. Er will genau betrachtet, ja studiert, als Frage, Angebot und Anregung aufgenommen werden. Nur dass die Antwort nicht verbal erfolgt, sondern mit dem Stift oder Pinsel. Ein anderes, nämlich gestalterisches Denken ist gefordert, Intuition und Einfühlung spielen eine große Rolle. Kommt es doch darauf an, das was als eigener Ausdruck bereits entstanden ist, nicht zu überdecken, sondern aufzunehmen und gleichzeitig etwas Adäquates dazuzugeben, bis sich im Laufe des Dialogs etwas Eigenständiges herausbildet. Ein sicheres Gespür für das richtige Maßhalten ist unbedingt notwendig, um die Bildaussage bis zum entscheidenden Punkt zu verdichten und dann den richtigen Zeitpunkt für einen Abschluss zu finden. Letzteres gehört sicherlich zum Schwersten bei diesen vierhändigen Bravourstücken.
Insofern bezieht sich der Titel „Blinds“ nicht auf das, was schon da ist, sondern das, was noch kommt und vollkommen offen und nicht vorhersehbar ist. Die beiden Künstlerinnen kennen sich gut genug, um eine Ahnung davon zu haben, in welche Richtung die andere dachte, um diese Vorgabe aufzunehmen und weiterzuentwickeln, oder aber auch die Erwartung zu durchkreuzen. Dabei geben beide übereinstimmend an, dass in der Gemeinschaftsarbeit auch eine Entlastung liegt, weil die andere Künstlerin die eigenen „Fehler“ doch immer noch retten könne. Dadurch werde die Experimentierfreude angeregt, mehr spielerisches Ausprobieren gewagt, das dann in die eigene Arbeit auch wieder einfließen könne. Sowieso erscheint der Dialog mit dem Zeichenstift wie eine Fortsetzung des künstlerischen Diskurses, den die beiden seit ihrer gemeinsamen Kölner Zeit als Ateliernachbarinnen entwickelten, mit anderen Mitteln. Der Wegzug von Gunilla Jähnichen nach Berlin hatte den beiderseits geschätzten engen Austausch erschwert, und Pläne für eine gemeinsame Ausstellung rückten durch die Pandemie in weite Ferne. Insofern ist dieser ergiebige „Briefwechsel“ geradezu ein Paradebeispiel für die Überwindung äußerer Hindernisse durch den kreativen Impuls.
Wie kann man sich diese Zusammenarbeit praktisch vorstellen, gibt es Absprachen? Auf keinen Fall inhaltlicher oder formaler Art. Das Vertrauen und der Respekt untereinander, die gemeinsamen Schnittstellen ihrer künstlerischen Praxis, mehr aber noch die jeweiligen Stärken und elaborierte Eigenständigkeit genügen als Garant für das Gelingen. Wer mit einem neuen Blatt beginnt, legt lediglich fest, wo oben und unten ist. Technik, zeichnerisches oder malerisches Mittel sind völlig offen, und vielleicht kündigt sich zu Beginn nicht einmal ein bestimmtes Thema an. Mindestens zwei Elemente muss so ein Gemeinschaftswerk haben – alles andere ist frei.
Die Blätter werden in kleinen Gruppen zu etwa 20 Stück hin und hergeschickt. Wer eine der Zeichnungen als abgeschlossen erachtet, nimmt sie heraus und gibt ein neu begonnenes Blatt hinein. Bei manchen Arbeiten lässt sich gut erkennen, was zuerst, was zuletzt hinzugefügt wurde, aber selten lässt sich sagen, von wem welche Elemente stammen und wie oft sie die Strecke Köln – Berlin zurücklegten.
In den knapp zwei Jahren seit den Anfängen sind etwa 400 Werke auf dieser Basis entstanden. Bei ihrer Betrachtung eröffnet sich ein Kosmos komplexer Gefühlswelten. Da beide Künstlerinnen vorwiegend figurativ arbeiten, spielt die Narration eine tragende Rolle. Jedes Blatt ist eine eigene kleine Geschichte für sich. Genau wie im richtigen Leben wechseln sich dunkle, strahlende, lustige und sehr traurige Szenerien ab, häufiger aber noch stoßen wir auf ambivalente Stimmungsbilder mit einer bittersüßen Note. Ihre Poesie verdankt sich dem präzisen gestalterischen Zugriff. Nur die Sicherheit im Umgang mit Form und Farbe ermöglicht eine solche Offenheit in der Aussage. Der Fähigkeit, eine träumerische, oft zwischen Lachen und Weinen, abgrundtiefer Traurigkeit und spielerisch heiterer Leichtigkeit changierenden Atmosphäre „zwischen den Zeilen“ entstehen zu lassen, geht die weitreichende Beherrschung und strenge Ökonomie der Mittel voraus. Das Ungefähre wird durch die Art der Bezüge zwischen den graphischen und malerischen Elementen eingelassen, nicht durch eine ungenaue Strichführung.
In der Mehrzahl der Blätter blicken uns Menschen, Tiere, unbekannt-vertraute Wesen an, mit großen Augen oder mit einer nur verkürzt und pointiert angedeuteten, aber nicht weniger expressiven Mimik. Die Bildsprache unserer Zeit, das Formenvokabular aus Comics, Mangas und den Emojis der Sozialen Medien fließen mit ein. Aber die in solchen populären Icons bedienten Konventionen werden mit größter Lust gebrochen. Bunte Luftschlangen ranken sich um ein böses oder vielleicht auch einfach nur sehr leidendes Gesicht mit einem Mund-Nasenschutz, hinter dem sich statt einer Nase ein Rüssel verbirgt. Aggressivität ist kaum zu vermeiden, wenn es um nichts weniger als die Luft zum Atmen geht. Es ist tatsächlich alles so schlimm. Desto wichtiger und unverzichtbarer ist es, durch eine ungebrochene Kreativität solche Freiräume zu schaffen wie Gunilla Jähnichen und Zandra Harms sie uns in ihrem faszinierenden Briefwechsel eröffnet.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
auch ich möchte Sie ganz herzlich zu dieser Ausstellungseröffnung begrüßen, die ganz unterschiedliche Arbeiten von Zandra Harms und Christiane Rasch für uns bereithält.
Encore une fois, so heißt der Titel der Ausstellung.
Encore une fois, was so viel heißt wie noch einmal, sagt so viel mehr aus über die beiden Künstlerinnen als die Tatsache, dass sie nun schon zum zweiten Mal zusammen ausstellen. Das war für sie der gemeinsame Nenner.
Encore une fois bedeutet aber auch den zweiten Blick auf Dinge lenken, noch einmal hinschauen und vielleicht gründlicher und intensiver als beim ersten Mal? Dass sollte man beim Betrachten der ausgestellten Arbeiten auf jeden Fall machen.
Encore une fois meint aber auch, den Dingen eine zweite Chance geben, einer anderen Verwendung zuführen oder vielleicht ein zweites Leben.
Und all diese Facetten vereinen die Kunstwerke und die Künstlerinnen in dieser Ausstellung. Zu sehen sind Zeichnungen, Skulpturen und Installationen.
Das unakademische Sehen, das nicht nach Komposition und Pinselduktus schaut, will erleben, ist emotional; es filtert das Wahrgenommene auf seine Weise und kann daher eine besondere Unmittelbarkeit erzeugen. Vielleicht deshalb und nur ganz flüchtig kommen einem gelungene Zeichnungen von Kindern in den Sinn, wenn man den Bildern von Zandra Harms begegnet. Sie scheinen Erlebtes oder Wunschträume darstellen zu wollen, sind aber seltsam entrückt.
Zandra Harms schafft konzentrierte Bilder, die klar ihr Thema zeigen, indem sie alles Überflüssige einfach nicht malt. Stattdessen legt sie größte Sorgfalt auf Farbklänge und Farbnachbarschaften, auf eine kompositorische Ausgewogenheit der Bildgegenstände und minimiert ihre Erscheinung hin zum Kontemplativen. Die Motive findet Zandra Harms im Alltag. Das ausgewählte Stück Alltag kann, wie hier, ein Zelt sein. Ein Motiv, das sie immer wieder aufgreift und immer wieder anders.
Umgeben von der Dunkelheit entsteht ein Raum. Die Pastellfarben werden mit dem Finger und in mehreren dünnen Schichten aufgetragen. Durch das mehrfache Übereinanderlegen von Schichten löst sich der Inhalte vom Untergrund, tritt das Zelt hervor. Wir erleben die Räumlichkeit ganz unmittelbar und direkt und dennoch wirken ihre Zelte von der Realität entrückt.
Im Inneren hell erleuchtet strahlen sie Wärme und Geborgenheit aus. Sie werden zu Orten der Zuflucht, zu heimeligen Orten, zu einem begrenzten zu Hause auf Zeit. Zu präsent sind uns allen die Bilder Geflüchteter im Kopf, als dass wir nicht auch an diese Schicksale denken beim Anblick der textilen Behausungen. Wir versuchen uns vorzustellen, wie es im Inneren ist, in dieser Lage, in dieser Situation.
Zandra Harms vermag es, den industriell gefertigten und technisch perfekten Gegenstand in etwas Einzelnes, sogar Einzigartiges zu verwandeln, als hätte sie dem Ding ein Stück Seele gegeben, ihm mit Finger und Kreide etwas von der Zartheit und dem Verletzbaren eines lebenden Wesens.
Malerei kann das, wenn sie nicht allein wissend und gekonnt, sondern auch derart hingebungsvoll formuliert ist.
An anderer Stelle sind es Gesichter, die einen im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr loslassen. Es sind vor allem die Augen, der Blick der Dargestellten, der einen verunsichert. Als Publikum sollten wir uns die ausgestellten Werke anschauen, stattdessen wird man das Gefühl nicht los, selbst beschaut zu werden, ganz so, als würden die Werkezurückschauen. In der direkten Auseinandersetzung mit den Werken vollzieht sich ein Rollenwechsel, vom Anschauenden zum Anschauungsobjekt.
In einer Zeit, in der wir ständig Gefahr laufen, fotografiert, gefilmt, gescannt und abgehört zu werden, zu einer Zeit, in der die Privatsphäre immer öffentlicher wird, lassen die Bilder einen erschauern, lassen den Blick eher abwenden.
Bleiben die Bilder von Zandra Harms zwangsläufig im Zweidimensionalen verhaftet, erreicht Christiane Rasch mit ihren Installationen die Ausdehnung in den Raum. Ihre raumbezogenen Skulpturen muten klar und strukturiert an. So werden beispielsweise auf einer Art Seziertisch mehrere Objekte ausgelegt, deren Patina und Ablagerungen sie als alt und historisch definieren. Der Tisch ist weniger Präsentationsfläche als viel mehr Arbeitsfläche. Wie bei einem archäologischen Fund scheinen die Artefakte noch diagnostiziert, bewertet und kategorisiert werden zu müssen.
Aber auch hier ist ein zweiter, genauerer Blick unabdingbar. Dieser verrät uns, dass es sich hier um Reste von Styroporverpackungen handelt, die die Künstlerin auf ihren Spaziergängen am Rhein gesammelt hat. Das ursprünglich weiße Material ist verdreckt, zerbrochen und abgenutzt. Ihrer ursprünglichen Bestimmung und Verortung entrissen, werden diese Fragmente zu Artefakten erhoben, scheinbar kostbar, scheinbar fragil, scheinbar schützenswert. Christiane Rasch kombiniert diese Fundstücke mit Abgüssen aus anderen Materialien, wie Porzellan oder Neusilber. Sie spielt mit der Irritation der Betrachtenden, mit der Begegnung mit dem Unerwarteten. Aber gerade das Unerwartete führt zu neuem Denken, bricht Sehgewohnheiten auf. Und auch hier lassen sich die jüngsten Bilder der Flutkatastrophe nicht unterdrücken. Angeschwemmtes Material an Orten, wo es nicht sein sollte, ist uns allen noch vor Augen.
Trotzdem transportieren die Fundstücke von Christiane Rasch eine andere Geschichte. Sie sind eher kostbare Relikte als unerwünschtes Material.
An anderer Stelle fügen sich die Einzelteile einer Vase zu einem neuen Objekt. Dabei scheint es nicht wichtig, die ursprüngliche Form oder Funktion aufzugreifen oder zu begreifen. Vielmehr sind die Fundstücke sind wie geborgene Schätze, die ein neue Wertschätzung erfahren. Nur wenig behandelt, meist mit Farben bemalt, haucht Christiane Rasch ihnen neues Leben ein. Sie macht neugierig auf das in den Objekten Verborgene, deren Geschichte, deren Herkunft, sie wechselt zwischen Künstlichem und Natürlichem, Offensichtlichem und Verborgenem, Innen und Außen. Indem sie dieFundtücke verarbeitet, minimal verändert, mit Farbe Signale setzt, schreibt sie deren Geschichte fort.
Es gibt Künstlerinnen und Künstler, die ihre kreativen Impulse primär aus der Kunst selbst schöpfen, andere wiederum werden maßgeblich von ihrer Herkunft und ihrem gesellschaftlichen Umfeld geprägt, wieder andere treibt die permanente Infragestellung der eigenen Werke an. Zandra Harms und Christiane Rasch bedienen sich aus allen drei Inspirationsquellen gleichermaßen und lassen sie in ihren Werken einfließen. Diese künstlerische Vorgehensweise gleicht einer Collage, bei der die einzelnen Teile aus ihrem ursprünglichen Kontext isoliert und zu etwas völlig Neuem zusammengefügt werden. Auf diese Weise werden mitunter gewohnte Sichtweisen aufgebrochen oder andere Standpunkte vielleicht erst ermöglicht.
Encore une fois, und damit komme ich noch einmal zum Anfang meiner Rede, impliziert nicht zuletzt auch die Motivation, an etwas dranzubleiben.
Encore une fois impliziert auch das noch einmal, erneut und jetzt erst recht!
Und so wünsche ich mir und Ihnen, dass wir noch viele gemeinsame Ausstellung sehen werde.
Hunde blau gelb, artothek, Köln 2014
Aquarell
Zandra Harms weiß um das verführerische Potential des Aquarells und sie nutzt dieses Wissen. Der Schwung und überhaupt die Lesbarkeit der malerischen Geste sind als Spur des Entstehungsprozesses lesbar; das Duftige der Farben und die ernst genommene Rolle des bildtragenden Papiers ergeben eine einnehmende Atmosphäre. Die Farbränder spannen ein Spektrum auf zwischen dem zarten Farbansatz auf Blüten und den Spuren aufgetrockneter Feuchtigkeit, wo auch immer man so etwas einmal gesehen hat. Diese prozessuale Offenheit dieser Technik, ihre handwerkliche Note und nicht zuletzt der Umgang mit Farbe hat immer etwas Verbindliches. Das gilt vor allem dann, wenn man andere Möglichkeiten überdenkt: Ölmalerei ist korrigierbar, Zeichnungen kennen Reuezüge und Radiergummi, Fotos werden in immer größerer Anzahl nicht nur aufgenommen, sondern auch manipuliert und nicht zuletzt auch gelöscht. Das manuelle Auftragen von Farbe im Aquarell und ihr auch mit viel Erfahrung nie ganz kalkulierbarer Verlauf ist ein nicht mehr veränderlicher Vorgang, dessen Resultat man lediglich akzeptieren oder vernichten kann.
Blick
Die Arbeiten von Zandra Harms haben es auch deshalb zunächst leicht, weil sie häufig figurative Bilder sind. Über Jahrhunderte hat sich ein Publikum daran gewöhnt, Abbilder zu erkennen oder eine Bildhandlung an dargestellten Personen ablesen zu können. Im Bildkonsum des Fernsehens sind solche Figuren nahezu Gesetz: Moderatoren, die den Betrachter in aller Regel durch die Kamera ansehen und ansprechen, wechseln sich ab mit Schauspielern, die niemals direkt in die Kamera blicken dürfen, deren Handlungen Zuschauer aber verfolgen dürfen. Die Figuren in den Bildern von Zandra Harms scheinen recht häufig den Blickkontakt zum Betrachter zu suchen – dem ersten Anschein nach. Im zweiten Blick erkennt man gar nicht mehr unbedingt die Richtung des Augenaufschlags. Die Künstlerin etabliert eine Art Interaktion zwischen Betrachter und Bildwelt, deren Regeln weit weniger festliegen als man es gewohnt ist.
Chiffre
Es sind nicht allein die vergleichsweise raumlos auf dem Blatt agierenden Personen, die den Reiz in den Arbeiten von Zandra Harms ausmachen. Gegenstände begleiten sie oder besondere Attribute wie beispielsweise Kleidung. Als weitere Hinweise reihen sich diese Merkmale in die Lesart der als Erzählung gedachten Bilder ein – und charakterisieren die dargestellten Personen näher. Der Künstlerin gesteht man bei einer solcherart reduzierten Darstellung gewiss gerne zu, dass es für die Auswahl dieser speziellen Person und ihres auf Kleidung oder ein Attribut reduzierten Lebensumstands Gründe gibt. Allzu offensichtlich sind diese jedoch nicht; Einordnungen zu einer anekdotischen Sichtweise scheitern an der Unnahbarkeit der reduzierten Szene, der Ansatz einer symbolischen Lesart (wie in Heiligenfiguren) an der mit Bedacht verweigerten Allgemeingültigkeit. Die Bilder bleiben individuelle Szenen, deren Zusammenhänge sich nicht von alleine entschlüsseln.
Diary
Zandra Harms arbeitet gerne in Gruppen von Bildern. Da liegt es nahe, als Betrachter für die Bilder einen Zusammenhang zu suchen, der über eine formale Entwicklungsreihe hinaus geht. Angesichts der ähnlichen Formate, insbesondere bei den kleineren Arbeiten, mag man gerne an Tagebucheinträge denken, die eine eher subjektiv festliegende Verankerung im Seelenleben der Künstlerin haben. Aber Seelenvoyeurismus ist fehl am Platze: weder sind die Bilder naive Bewusstseinsnotate noch sind diese künstlerischen Produkte überhaupt zu irgend etwas sekundär – so wie es ein Tagebuch zu den erlebten Tagen ist. Im Gegenteil: diese knappe und eventuell träumerisch anmutende Form steht in der Mitte der künstlerischen Form, folgt einer individuellen Konsequenz und ist zur Veröffentlichung gedacht.
Elefant
Elefant
Farbe
Hunde sind Dichromaten, das heißt besitzen im Gegensatz zum Menschen nur zwei Spektren, innerhalb derer sie Farben einordnen: blau und gelb. Und diese Farben nehmen Hunde eher blass und abgemildert wahr. Für eine Künstlerin wie Zandra Harms kann eine solche Information – die sonst für die Hundeerziehung wichtig ist – in völlig andere Richtungen führen. Angesichts des großen Spektrums an unterschiedlichen Farben, die einem wahrnehmendem Mensch und ihr als produzierender Künstlerin grundsätzlich zur Verfügung stünden: hat ihr bewusster Verzicht auf ein Schwelgen in Farbe eine humanistische Dimension?
Graphit
Den zu Unrecht Bleistift genannten Graphitstift setzt die Künstlerin vergleichsweise häufig ein. Strichlagen verdichten sich zu Schraffuren und Flächen, die sehr ähnlich wie das Aquarell feine Schattierungen erzeugen können. Die klassischen Anwendungen des Bleistifts sucht man vergebens: Einzelne Linien, um einen Bildraum erschließen oder die Kontur zu klären sind selten. Dafür entstehen Wirkungen aus dem Feld der Malerei: die eigentümlich matte Farbe der Bleistiftlagen und ihr Umgang mit Licht korrespondiert mit den Farbtönen des Aquarells.
Hunde blau gelb
Wer sich auf eine solcherart skizzierte Sicht der Dinge wie in den Arbeiten von Zandra Harms einlässt, sucht nicht selten Zuflucht bei den Titeln der Zeichnungen. Sie zumindest versprechen die Erklärung dessen, was man bei näherem und weiterem Hinsehen immer weniger eindeutig zu fassen sucht. Die bisherige Katalogproduktion von Zandra Harms zeigt, dass sie mit erklärenden Worten recht speziell umgeht. So liefert ihr 2008 erschienener Katalog eine Großpackung möglicher Titel – aber eben auf dem Umschlag versammelt und ohne weitere Zuordnung zum ausschließlich den Bildern vorbehaltenen Inneren des Buchs. So darf man ahnen, dass die Künstlerin neben ihren Bildwelten durchaus von sprachlichen und gedanklichen Phänomenen quer zur üblichen Blickrichtung fasziniert ist. Titel wie „Hund blau gelb“ gönnt Zandra Harms jedoch allenfalls einer Ausstellung, nicht dem einzelnen unbetitelten Bild. Das ist nicht weniger als eine Haltung.
Initialimpulse
Weil der Kunstbetrieb seit langem bereits zu festlichen Momenten neigt, gibt es Vernissagen und Finissagen. Bei der Vernissage wurde das fertige Bild gefirnisst („Vernis“ ist das französische Wort für Firniss) und war damit abgeschlossen. Mit der Finissage gesellte sich ein zweites Ereignis dazu, das dem Vermitttlungsbetrieb gewiss nützlich ist. Zandra Harms braucht ihre Bilder nicht zu firnissen und selbst die Frage, ob die Bilder überhaupt einen Rahmen vertragen, ist nicht immer leicht zu beantworten. Das liegt nicht zuletzt daran, dass diese Arbeiten sich fast von selbst auf den Weg zum Betrachter machen, ihrer materiellen Präsenz bewusst und gleichzeitig auf ihre innere Offenheit bedacht.
Darin sind wir uns vielleicht schon mal einig: Es gibt Räume, Orte, Objekte der Erinnerung und Erfahrung. Das wäre jetzt erstmal die grobe Zusammenfassung von dem, was jetzt kommt. Aber ein Résumé steht eigentlich am Ende. Also: fange ich einfach mal an und taste mich genau wie Sie vor. Auch ich sehe heute alles zum ersten Mal in fertiger Installation. Ich habe mich wenig, eigentlich gar nicht, von Katalogen und Texten über die Arbeit von Zandra und Christiane leiten lassen, sondern nur von den Gesprächen mit den Künstlerinnen und über die Werke, wie ich sie vereinzelt schon im Atelier gesehen habe.
Wie wir nun alle hier so stehen und sitzen, so sind es erst einaml drei große Aquarellimagen, 3 Gesichter, die die Distanz im Raum überbrücken, in einem Blickdreieck die Hauptszenerie der Ausstellung „abstecken“. Sie drängen unseren Blick perfide auf das, was sich hier abspielt – perfide, schmunzelnderweise, denn sie geben vor, genauso Betrachter zu sein wie wir. Was sie herzlich leisten: Sie laden uns ein zu schauen. Hinzuschauen. Wie z.B. auf das Porträt einer Jacke. D.h. eine Porträtserie von 7 Zeichnungen von Zandra Harms. Das Objekt ist der Protagonist, nicht die Personen, soviel sei schon mal vorweggenommen. Die Jacke, die als Objekt den Träger „modifiziert“.
Ich war in Zandras Studio, lange noch, bevor ich Christiane in ihrem Atelier besuchte. Sie sollte mir einfach was erzählen über die Zeichnungen, die sie da bereits fertig hatte. Es waren nicht viele, aber das, wie ich merkte, war gar nicht ausschlaggebend und spricht für die einzelne Beständigkeit der Arbeiten, außerhalb ihrer vollständigen Truppe, der Konstellation von Querverweisen und Einanderzugewandtseins, wie sie hier zu sehen ist.
Es fing alles mit dieser Jacke an – so könnte man es sagen. Zandra erzählte mir von einer Party, auf der irgendwie plötzlich dieses Second-Hand Vintage-Stück in weißem Kunstleder auftauchte. Sie ging reihum. Jeder zog sie mal an. Allein dadurch fiel jeder Einzelne wie in eine andere Rolle, ein anderes Jetzt, konnte dabei beobachtet werden, wie er/sie in eine neue Erfahrung eintrat. Gestik, Tanz war losgelöst von der Person, die man noch vor einem Moment war. Die Jacke machte vielleicht alles möglich. Es überlagerten sich die Gegenwart der Party und die Vergangenheit eines Objekts, der Jacke, deren Vergangenheit, deren Geschichte keiner kannte. So erhielt sie erfundene Erinnerung. Wem hat sie früher gehört? Jeder/jede imaginierte im eigenen Acting die vermeintliche Person des Vorbesitzers.
Was sich hier spielerisch ereignete: Erfahrung von Erinnerung; in diesem Fall fiktive Erinnerung und Geschichte, die zu freier Erfahrung durch einen jeweils individuellen Umgang mit einem Objekt wird.
Man könnte jetzt groß und breit von der Aura der Dinge beginnen. Aber darauf haben weder Sie noch ich jetzt hier irgendeine Lust. Keine Lust auf tiefschürfende Ästhetik und Bildwissenschaft, Hermeneutik…ist auch nicht nötig. Nicht, daß Christiane und Zandra, ihre Werke, sich nicht behaupten könnten in diesem Theoriengerangel. Keine Kunst ohne Diskurs. Doch, ganz sicher, würden sie sich behaupten, aber nicht gezwungenermaßen, denn was sie anbieten ist ein: Es geht auch ohne; und zwar, sobald man sich auf die reine Erfahrung mit den Dingen einläßt. Und wenn auch Räume zu solchen Dingen der Erinnerung und Erfahrung, zu einem Objekt der Erinnerung und Erfahrung werden können, die Erfahrung konzentrieren und festhalten, dann war Christiane in dieser Transformation ihrerseits erfolgreich. Interessanter- wie glücklicherweise kam es so, daß sich die Künstlerinnen – wie ich dann nach meinem Besuch bei Christiane feststellte – unabhängig voneinander in ihrer Arbeit, auf einen Kontext quasi „geeinigt“ hatten. Und alleine in dieser Einigkeit sind sie doch nicht wenig komplex. Wie wäre es nur geworden, hätten sie sich in ihrer Arbeit zu dieser Ausstellung gewissermaßen getrennt entwickelt. Ich war, und muß es zugeben, erleichtert. Aber beide werden schon gewußt haben, warum sie eine Schau zusammen bestreiten. Das kann man ja nun sehen. Wie man auch dieses rostige Skelett eines Pavillons sehen kann, umgeben von Avataren einer möglichen Strandkulisse – die Möglichkeit eines Ortes… Dann: ein Eisblock – vielmehr sein plastischer Avatar – nun, ich verrate nicht, wo er herkommt bzw. wo er erblickt, in der Erinnerung konserviert und von wo er heimgebracht wurde! Es würde die Erfahrung verderben… Daß es ein Eisfels ist, ist schon genug dessen, was verraten werden darf. Ein Eisblock im Karton. Erinnerung hole ich mir per Versand nach Hause, scheint dieses Bild trotzig-pragmatisch zu erklären.
Ist das jetzt schon ein faux-pas der Deutung? Das ist hier nicht relevant. Denn: Funktioniert trotzdem! Dem hinzu treten die objets trouvés von Christiane, von denen jedes liebevoll sein persönliches Wahrnehmungskleinod, mitunter neonbunte Interventionen der Künstlerin erhält. Die Objekte und Orte ihrer Erfahrung empfangen gleichsam ein individuelles Handling, die Übertragung in eine plastische Bildsprache, die sich treiben läßt, die erstmal nicht weiß, wie sie Gedanken der Erinnerung und Erfahrung visuelle wie haptische Form geben wird.
Nochmal: es geht um Erinnerung und Erfahrung, die Erinnerung von Erfahrung, die Erfahrung von Erinnerung. Wie man es dreht und wendet, man kommt da nicht raus. Wichtig dabei: Wir haben zwei Ausgangspunkte der Erinnerung und Erfahrung: die der Künstlerinnen und die der Betrachter, jetzt hier der Besucher der Vernissage. Ein wichtiger Punkt, denn: nochmal auf das Beispiel der Jacke zurückkommend: in diesem Fall ist die Erinnerung eine gezwungenermaßen erfundene. Und genau dieser Moment ist es, den die beiden Künstlerinnen für uns extrahieren. Sich selbst müssen sie dabei ab einem bestimmten Moment ausbremsen, ausschließen, um ihre eigene Erfahrung und Erinnerung – wenn sie auch als Ausgangspunkt dienen – zu der naiven Begegnung zu formen, die sie uns hier mit unserer Erinnerung, Erfahrung und Wahrnehmung bereiten.
Da wir Menschen sind, sind Erinnerungen, und so auch die damit verbundenen Dinge und Orte mit Emotion aufgeladen. Um die Erfahrung und Erinnerung dem Betrachter jedoch möglichst unbelastet zu übergeben, gibt es von den Künstlerinnen einen emotionalen Dämpfer in der konkreten Konstruktion. Motivisch in den Pseudo-Maschinchen von Zandra Harms, die nicht ohne eine Portion Selbstironie auskommen angesichts ihres funktionalen Dilettantismus einer scheinbar professionellen Ingenieurskunst, und in der doch nüchternen Pavillon-Architektur von Christiane Rasch. Das Ausbremsen ist Teil des Verständnisses und der Kenntnis um das emotional-projektive Potential von Memoria.
Das multiple Funktionieren von Erfahrungsmechanismen, die Trigger, für sich selbst, für andere, erweisen sich als tatsächlich. Erinnerung ist ja trügerisch. Ist Erfahrung das nicht? Ist das der Unterschied, der beide zu so kompatiblen Partnern macht? Das Trügerische der Erinnerung verliert damit auch irgendwie die Dramatik des Wortes „Trug“… Und jeder hat ja irgendwie seine Wahrheit und Wirklichkeit. Nicht gerade die neueste Weisheit. Sie kann aber hier erprobt werden.
Und da stieß ich kürzlich noch auf eine ganz nette Stelle in Carlos Castanedas „Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan“. Dort fragt eben jener Don Juan, ein indianisch-mexikanischer brujo, ein Zauberer, der Castaneda im „Sehen“ unterweist: „Hast Du je daran gedacht, daß nur wenige Dinge auf der Welt auf Deine Weise erklärt werden können?“
Darin sind wir uns vielleicht schon mal einig: Es gibt Räume, Orte, Objekte der Erinnerung und Erfahrung. Das wäre jetzt erstmal die grobe Zusammenfassung von dem, was jetzt kommt. Aber ein Résumé steht eigentlich am Ende. Also: fange ich einfach mal an und taste mich genau wie Sie vor. Auch ich sehe heute alles zum ersten Mal in fertiger Installation. Ich habe mich wenig, eigentlich gar nicht, von Katalogen und Texten über die Arbeit von Zandra und Christiane leiten lassen, sondern nur von den Gesprächen mit den Künstlerinnen und über die Werke, wie ich sie vereinzelt schon im Atelier gesehen habe.
Wie wir nun alle hier so stehen und sitzen, so sind es erst einaml drei große Aquarellimagen, 3 Gesichter, die die Distanz im Raum überbrücken, in einem Blickdreieck die Hauptszenerie der Ausstellung „abstecken“. Sie drängen unseren Blick perfide auf das, was sich hier abspielt – perfide, schmunzelnderweise, denn sie geben vor, genauso Betrachter zu sein wie wir. Was sie herzlich leisten: Sie laden uns ein zu schauen. Hinzuschauen. Wie z.B. auf das Porträt einer Jacke. D.h. eine Porträtserie von 7 Zeichnungen von Zandra Harms. Das Objekt ist der Protagonist, nicht die Personen, soviel sei schon mal vorweggenommen. Die Jacke, die als Objekt den Träger „modifiziert“.
Ich war in Zandras Studio, lange noch, bevor ich Christiane in ihrem Atelier besuchte. Sie sollte mir einfach was erzählen über die Zeichnungen, die sie da bereits fertig hatte. Es waren nicht viele, aber das, wie ich merkte, war gar nicht ausschlaggebend und spricht für die einzelne Beständigkeit der Arbeiten, außerhalb ihrer vollständigen Truppe, der Konstellation von Querverweisen und Einanderzugewandtseins, wie sie hier zu sehen ist.
Es fing alles mit dieser Jacke an – so könnte man es sagen. Zandra erzählte mir von einer Party, auf der irgendwie plötzlich dieses Second-Hand Vintage-Stück in weißem Kunstleder auftauchte. Sie ging reihum. Jeder zog sie mal an. Allein dadurch fiel jeder Einzelne wie in eine andere Rolle, ein anderes Jetzt, konnte dabei beobachtet werden, wie er/sie in eine neue Erfahrung eintrat. Gestik, Tanz war losgelöst von der Person, die man noch vor einem Moment war. Die Jacke machte vielleicht alles möglich. Es überlagerten sich die Gegenwart der Party und die Vergangenheit eines Objekts, der Jacke, deren Vergangenheit, deren Geschichte keiner kannte. So erhielt sie erfundene Erinnerung. Wem hat sie früher gehört? Jeder/jede imaginierte im eigenen Acting die vermeintliche Person des Vorbesitzers.
Was sich hier spielerisch ereignete: Erfahrung von Erinnerung; in diesem Fall fiktive Erinnerung und Geschichte, die zu freier Erfahrung durch einen jeweils individuellen Umgang mit einem Objekt wird.
Man könnte jetzt groß und breit von der Aura der Dinge beginnen. Aber darauf haben weder Sie noch ich jetzt hier irgendeine Lust. Keine Lust auf tiefschürfende Ästhetik und Bildwissenschaft, Hermeneutik…ist auch nicht nötig. Nicht, daß Christiane und Zandra, ihre Werke, sich nicht behaupten könnten in diesem Theoriengerangel. Keine Kunst ohne Diskurs. Doch, ganz sicher, würden sie sich behaupten, aber nicht gezwungenermaßen, denn was sie anbieten ist ein: Es geht auch ohne; und zwar, sobald man sich auf die reine Erfahrung mit den Dingen einläßt. Und wenn auch Räume zu solchen Dingen der Erinnerung und Erfahrung, zu einem Objekt der Erinnerung und Erfahrung werden können, die Erfahrung konzentrieren und festhalten, dann war Christiane in dieser Transformation ihrerseits erfolgreich. Interessanter- wie glücklicherweise kam es so, daß sich die Künstlerinnen – wie ich dann nach meinem Besuch bei Christiane feststellte – unabhängig voneinander in ihrer Arbeit, auf einen Kontext quasi „geeinigt“ hatten. Und alleine in dieser Einigkeit sind sie doch nicht wenig komplex. Wie wäre es nur geworden, hätten sie sich in ihrer Arbeit zu dieser Ausstellung gewissermaßen getrennt entwickelt. Ich war, und muß es zugeben, erleichtert. Aber beide werden schon gewußt haben, warum sie eine Schau zusammen bestreiten. Das kann man ja nun sehen. Wie man auch dieses rostige Skelett eines Pavillons sehen kann, umgeben von Avataren einer möglichen Strandkulisse – die Möglichkeit eines Ortes… Dann: ein Eisblock – vielmehr sein plastischer Avatar – nun, ich verrate nicht, wo er herkommt bzw. wo er erblickt, in der Erinnerung konserviert und von wo er heimgebracht wurde! Es würde die Erfahrung verderben… Daß es ein Eisfels ist, ist schon genug dessen, was verraten werden darf. Ein Eisblock im Karton. Erinnerung hole ich mir per Versand nach Hause, scheint dieses Bild trotzig-pragmatisch zu erklären.
Ist das jetzt schon ein faux-pas der Deutung? Das ist hier nicht relevant. Denn: Funktioniert trotzdem! Dem hinzu treten die objets trouvés von Christiane, von denen jedes liebevoll sein persönliches Wahrnehmungskleinod, mitunter neonbunte Interventionen der Künstlerin erhält. Die Objekte und Orte ihrer Erfahrung empfangen gleichsam ein individuelles Handling, die Übertragung in eine plastische Bildsprache, die sich treiben läßt, die erstmal nicht weiß, wie sie Gedanken der Erinnerung und Erfahrung visuelle wie haptische Form geben wird.
Nochmal: es geht um Erinnerung und Erfahrung, die Erinnerung von Erfahrung, die Erfahrung von Erinnerung. Wie man es dreht und wendet, man kommt da nicht raus. Wichtig dabei: Wir haben zwei Ausgangspunkte der Erinnerung und Erfahrung: die der Künstlerinnen und die der Betrachter, jetzt hier der Besucher der Vernissage. Ein wichtiger Punkt, denn: nochmal auf das Beispiel der Jacke zurückkommend: in diesem Fall ist die Erinnerung eine gezwungenermaßen erfundene. Und genau dieser Moment ist es, den die beiden Künstlerinnen für uns extrahieren. Sich selbst müssen sie dabei ab einem bestimmten Moment ausbremsen, ausschließen, um ihre eigene Erfahrung und Erinnerung – wenn sie auch als Ausgangspunkt dienen – zu der naiven Begegnung zu formen, die sie uns hier mit unserer Erinnerung, Erfahrung und Wahrnehmung bereiten.
Da wir Menschen sind, sind Erinnerungen, und so auch die damit verbundenen Dinge und Orte mit Emotion aufgeladen. Um die Erfahrung und Erinnerung dem Betrachter jedoch möglichst unbelastet zu übergeben, gibt es von den Künstlerinnen einen emotionalen Dämpfer in der konkreten Konstruktion. Motivisch in den Pseudo-Maschinchen von Zandra Harms, die nicht ohne eine Portion Selbstironie auskommen angesichts ihres funktionalen Dilettantismus einer scheinbar professionellen Ingenieurskunst, und in der doch nüchternen Pavillon-Architektur von Christiane Rasch. Das Ausbremsen ist Teil des Verständnisses und der Kenntnis um das emotional-projektive Potential von Memoria.
Das multiple Funktionieren von Erfahrungsmechanismen, die Trigger, für sich selbst, für andere, erweisen sich als tatsächlich. Erinnerung ist ja trügerisch. Ist Erfahrung das nicht? Ist das der Unterschied, der beide zu so kompatiblen Partnern macht? Das Trügerische der Erinnerung verliert damit auch irgendwie die Dramatik des Wortes „Trug“… Und jeder hat ja irgendwie seine Wahrheit und Wirklichkeit. Nicht gerade die neueste Weisheit. Sie kann aber hier erprobt werden.
Und da stieß ich kürzlich noch auf eine ganz nette Stelle in Carlos Castanedas „Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan“. Dort fragt eben jener Don Juan, ein indianisch-mexikanischer brujo, ein Zauberer, der Castaneda im „Sehen“ unterweist: „Hast Du je daran gedacht, daß nur wenige Dinge auf der Welt auf Deine Weise erklärt werden können?“
Zu den Arbeiten von Zandra Harms baut man sofort eine persönliche Beziehung auf. Sie wirken vertraut, nicht zuletzt, weil sie die menschliche Figur oder menschenähnliche Wesen in den Mittelpunkt stellen. Doch in die formal zunächst nahegelegte Eindeutigkeit wird Fremdes eingestellt, so dass die Verhältnisse zwischen Figur und Dingen, Figur und Umwelt gestört werden, uneindeutig und befremdlich, ein wenig auch unheimlich werden. Das Unheimliche kommt nach Freud ja bekanntlich aus dem Bereich des Vertrauten, dem Heimlichen oder Heimeligen, als unterschwellige, nahe Bedrohung. Verstörend wirkt hierbei vielleicht nicht zuletzt die undramatische Gleichgültigkeit, mit welcher die Figuren in den Bildern ihre befremdlichen Situationen als unabänderliche Normalität hinzunehmen scheinen.
Die Zeichnungen und Aquarelle von Zandra Harms sind Bilder für Erwachsene. Wir sind gemeint, das steht außer Frage, aber sie kommen daher wie die Fragen, die die Kinder an uns zu stellen pflegen. Fragen, deren simple Legitimation, zwar, zumindest auf dem zweiten Blick unmittelbar einleuchten, da sie auf zumeist einfachen Beobachtungen und Registrierungen der Umwelt basieren, die wir aber mit unseren vielfach spezialisierten Welterschließungsinstrumentarien oftmals nicht mehr befriedigend zu beantworten wissen. Die Fragwürdigkeiten, die sich nahezu überall in unseren allzu alltäglichen Geschehensabläufen einnisten, sind für die meisten von uns nicht mehr als solche wahrnehmbar. Sie, die Bilder, rühren daher möglicherweise auch an verschüttete Sinnzusammenhänge. Eine simple Entschlüsselung würde nahezu zwangsläufig zu kurz greifen.
Mit ihren Zeichnungen und Bildern vergewissert sich die Künstlerin gleichsam ihrer selbst wie der Welt um sie herum. Zandra Harms begibt sich demnach in ihren Arbeiten auf die Suche nach den Energien des Lebens, mögen sie im Irgendwo zwischen dem Animalischen und dem Spirituellen, zwischen dem Körperlichen und dem Geistigen, zwischen dem Sinnlichen und dem Intellekt angesiedelt sein. Wichtiger erscheint vielmehr, dass diese Energien zwischen eben diesen Polen in Bewegung bleiben und ein ständiger Austausch möglich bleibt. Erlebtes und Gesehenes, Erfühltes und Erdachtes, Vermitteltes und Tradiertes findet ebenso Eingang in ihre Bildwelt, wie das lustvolle und spielerische Kombinieren all dieser Ebenen im freien Fluß bildnerischer oder sprachlicher Assoziationsketten. Die Hand der Künstlerin folgt dabei der Spur, die seit Menschengedenken gezogen wird, um die Essenz dessen, was Leben respektive Wirklichkeit heißen könnte, zu fassen, sei es als Form oder als Begriff.
Gemäß Botho Strauss befinden sich „die Formen der Welt in unablässiger Fernfühlungnahme, reagieren, antworten, weisen aufeinander, sie schaffen, sie erspielen aus ihrem Variantenübermut ein Gesetz, sie halten sich schließlich an Regeln, die wir nicht kennen. Wir können sie nur beobachten, klassifizieren, wir stellen mühsam Ähnlichkeiten und Veränderungen fest, während sie über Raum und Zeit hin sich lebendig zueinander verhalten und das erschaffen, was wir Sehen und Gesehenwerden, was wir Ding und Organ nennen. Formen selbst sind jener Geist, der über den unseren sich unterhält.“
Bei dieser ‚Unterhaltung’ können ‚Winzige unbedeutende Ereignisse das Gedächtnis bestimmen’ – so der Titel der Ausstellung von Zandra Harms. Ob es aber wirklich der Titel der Ausstellung ist, darüber ließe sich auch bereits spekulieren. Zumindest ist dieser Satz der Abbildung auf der Einladungskarte beigefügt. Angesprochen sind also irgendwelche äußeren Ereignisse, die Einfluß auf unser Inneres, unser Gedächtnis zu nehmen vermögen.
Die Blätter, die hier auf den Wänden der Ausstellungsräume in kalkuliert luftiger Form verteilt sind erzählen von Erkundungen von Orten, Situationen und Beziehungen. Aber mit diesen Blättern und deren Arrangement erkundet die Künstlerin auch gleichzeitig eben diesen Ort der Ausstellung und stellt neue Bezüge und Blickachsen her.
Die Arbeit der Künstlerin beruht auf dem Spiel von Innen und Außen, von gemeinsamem und geteiltem Raum und schließlich von zwei völlig verschiedenen Welten, der menschlichen Gesellschaft und der Tier- oder auch Pflanzenwelt. Die Abbildung auf der Einladungskarte zeigt die Brustbilder zweier Menschen und ein florales Gebinde. Die weibliche Figur links ist dabei deutlich stärker akzentuiert als der Junge zur Rechten. Ist er demnach überhaupt als real anwesend zu denken? Ist nicht der Bezug des Mädchens zur Blumenschleife viel prägnanter? Das Bild könnte also als Erinnerung an eine vergangene Anwesenheit dienen. Es erinnert an eine Erinnerung.
Die Erfahrung der Distanz ist also räumlich und zeitlich zugleich. Durch die Kraft von Erinnerung, Empathie und Vorstellungsgabe sind wir imstande, solche Distanzen zu überwinden und damit in einem gewissen Sinne auch das Hier und Jetzt mitzubegründen.
Ich meine, in diesen Arbeiten erscheint das eigene Selbst als etwas, das nicht stabil ist, sondern wesentlich unter den Mitmenschen und in der Dingwelt verankert ist und auf häufig neu formulierten und veränderten Erinnerungen wie auch auf Vergessenem oder Verdrängtem beruht. Es hängt nicht nur von der Sicht von ‚innen’ ab, sondern auch von den vielfältigen Sichten und Vorstellungen , die von ‚außen’, von anderen kommen.
Zu konstatieren ist eine Spielerische Aktivität mit den Medien der Repräsentation, im Umherschweifen zwischen Zeitlichkeit und Fixierung im Medium. Das Medium, mit der diese Ausstellung hier vornehmlich bestückt ist, ist das der Aquarellzeichnung. Es sind also in erster Linie Arbeiten auf Papier. Aber im Gegensatz zur reinen Bleistiftzeichnung, bei der die Linie, der Strich im Vordergrund steht, erlaubt das Aquarell einen deutlich malerischen und vor allem auch farbigen Umgang auf der Fläche des Bildträgers. Der Gewinn jedoch, der durch die Farbigkeit zweifellos erzielt wird, geht einher mit einem gewissen Grad an Kontrollverlust. Die Widerstände ergeben sich zwangsläufig durch den flüssigen Farbauftrag, die Saugfähigkeit des Papiers oder die Stärke des verwendeten Pinsels, ganz abgesehen von der nicht immer bis ins kleinste zu kalkulierenden Motorik der Hand. Vor Überraschungen ist man demnach nicht zur Gänze gefeit. Zandra Harms weiß diese möglichen produktiven Verfehlungen oder Unwägbarkeiten jedoch kreativ zu nutzen und in ihr Kalkül einzubeziehen. Zu Gute kommt ihr dabei das Interesse für körperliche Mutationen und organische Prozesse. Ihre Figuren entstehen demnach nicht durch photographische, illusionistische Wiedergabe, sondern sie werden lebendig im Spiel der Farben, das sich auf ihnen ereignet. Das passiert auf der Oberfläche des Papiers, auf der Fläche der Form, dadurch wird sie plastisch. Diese Form der Malerei bietet für Zandra Harms die Möglichkeit zur Durchdringung einer Idee mit dem malerischen Experiment, mit dem nur bedingt beeinflussbaren und um so mehr experimentell zu erforschenden Fluss der Farbe. Es ist die Dialektik von Figur und Raum im Bild, von Bild und Prozess. Das zu erleben hat mit unserer Phantasie zu tun, wie wir das, was wir sehen interpretieren und erleben. Dann erst bekommen die Erscheinungen Sinnlichkeit, Sinn, Bedeutung und werden Teil unserer Vorstellung, unserer Konstruktion von Wirklichkeit, die in unserer Wahrnehmung stattfindet und nicht einfach so da ist.
Zandra Harms versetzt sich in diesen vor-rationalen Erfahrungsraum – einen Raum voll von Verschiebungen , Schwellen und Sackgassen, aber auch von Durchbrüchen und unerwarteten Ausblicken. Oft werden sie zu Schauplätzen geheimer, unvorhersehbarer, zufälliger poetischer Verhaltensweisen. In welcher Beziehung steht der Hund, das Tier zum Mädchen, ist es ein treuer Beschützer oder eine Bedrohung? Warum treten die kindlichen Kreaturen zumeist mit ihrem Double auf? Ist ihre Naivität vielleicht nur vorgetäuscht? Das rätselhafte Wechselspiel zwischen kleidenden Pflanzen und pflanzenartigen Körpern. Stehen diese Pflanzenwelten für idyllische Natur oder für wuchernde Inbesitznahme?
Die Sprunghaftigkeit des spekulativen bildnerischen Denkens korreliert hier aufs Trefflichste mit einer künstlerischen Strategie des Eindeutigkeitsverzichts.
Was zählt, ist daher unser eigener Blick auf das oder den Anderen. Dieser sollte gepaart sein mit Interesse, Liebe und Respekt. Denn wie wir auf die Welt schauen, so blickt sie auch auf uns.
Als ‚metaphysische Drückebergerei’ bezeichnete Helmut Plessner das Denken, dass von der Existenz des Menschen redet, aber vor der biologischen Verklammerung dieser Existenz die Augen verschließt. Die Kunst ist hierbei weit mehr als andere Funktionssysteme wie Religion, Politik, Wissenschaft oder Recht in der Lage, die Pluralität von Komplexitätsbeschreibungen zu akzeptieren.
Die Bilder von Zandra Harms liefern auf poetische Weise Anstöße, um über Sinn und Unsinn unserer Existenz zu reflektieren, im Dialog mit anderen, im Monolog mit unseren Wahrnehmungsweisen und in der Auseinandersetzung mit der sinnlichen Präsenz der Arbeiten. Zur Disposition stehen kunstimmanente Fragestellungen zum Bildraum und zum Raum des Bildes und damit verwoben unsere eigene Verortung in dem unsere Existenz konstituierenden Raum. Denke ich über mich nach, denke ich auch über den Raum, die Menschen und die Dinge darin nach. Die Dingwelt verschiebt sich in die Menschenwelt. Das Verhältnis ist durch gegenseitige Abhängigkeit gekennzeichnet, sie ist das Gefüge des Lebens und alles Seienden. Der Bildraum öffnet sich hin zum eigentlich relevanten Raum – dem Beziehungs- und Resonanzraum zwischen den Menschen. Der Zwischenraum zwischen den Menschen ist der Ort des Kunstwerks, nicht im Sinne einer Behauptung, sondern als Begegnung über viele verschlungene Pfade.
Nicht nur die Wortsprache hat uns etwas zu sagen, auch die Bilder und Dinge reden zu dem, der seine Sensorien zu gebrauchen versteht; von überall her ergehen an unsere Sinne die Winke der Formen, der Farben und der Atmosphären. Hierzu gilt es in ein geradezu physiognomisches Verhältnis zu treten. Während der Prozeß der Zivilisation uns eher lehrt, zu Menschen und Dingen Distanz zu gewinnen, so daß wir sie als Gegenüber vor uns haben, liefert der physiognomische Sinn einen Schlüssel zu all dem, was die Nähe zur Umwelt verrät. Sein Geheimnis ist Intimität, nicht Distanzierung. Diese Intimitäten wahrzunehmen impliziert selbstverständlich auch das Aufgeben eines rein distanzierenden und registrierenden Beobachtens. Zandra Harms teilnehmende Beobachtungen, in die Flachware Malerei übertragen, breiten das Leben dramatisiert und intensiviert vor uns aus.
Wir sollten die Arbeiten der Künstlerin daher als Versuch schätzen lernen, die Lücke zwischen Denken und Vorstellung, zwischen Wort und Tat, Begriff und Anschauung produktiv zu nutzen.